Aktalisierte und leicht gekürzte Fassung eines Artikels, der am 31. Mai in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.

Seit 1. Juni an ist es beim Europäischen Patentamt in München zu haben: das Einheitspatent. Mit ihm gewähren 17 EU-Staaten, darunter immerhin Deutschland, Frankreich und Italien aber weder Spanien noch Polen, demjenigen, der nach der Erteilung seines Europäischen Patents beim Europäischen Patentamt ein Einheitspatent beantragt, Schutz. Das Einheitspatent steht neben dem klassischen Europäischen Patent, das es weiterhin gibt. ob sich ein Einheitspatent auszahlt, hängt sehr von der Branche ab – und von einem besonderen Portfolioeffekt.

Europäische Patente gibt es schon seit 1978. Jährlich prüft das Europäische Patentamt fast 200 000 Patentanmeldungen. Doch endet der europäische Weg dieser "klassischen" Europäischen Patente jäh mit der Erteilung. Alles, was danach kommt, etwa die gerichtliche Durchsetzung des Patents gegen eine möglichen Patentverletzer, ist Sache der Gerichte der einzelnen Staaten. Auch verlangt jeder Staat jährlich eine Gebühr zur Aufrechterhaltung des Patents auf seinem Territorium, macher zudem sogar eine Übersetzung des häufig sehr umfangreichen Patentexts in ihre seine Landessprache. Um hier Kosten zu sparen, wählen Patentinhaber meist nur die für sie wichtigsten Staaten aus. Bei Licht betrachtet gleicht das klassische Europäische Patent nach der Erteilung also einem bloßen Bündel nationaler Patente.

Um diesen Makel zu korrigieren, haben 17 EU-Staaten das Einheitspatent geschaffen, und mit ihm das Einheitliches Patentgericht. Nach der Patenterteilung durch das Europäische Patentamt haben europäische Patentinhaber in diese Staaten die Wahl zwischen dem klassischen Europäischen Patentschutz und dem Einheitspatent. Unter den 17 Staaten, die das Einheitspatent und das Einheitliche Patentegricht anerkennen, fehlen bisher allerdings nicht nur sämtliche Nicht-EU-Mitglieder der Europäischen Patentorganisation wie Großbritannien und die Schweiz, sondern auch wichtige EU-Staaten, darunter Spanien und Polen. Sie alle sind noch immer nur über das klassische Europäische Patent erreichbar.

Für grob die Hälfte der Anmelder Europäischer Patente ist das Einheitspatent kein Schnäppchen. Das liegt wesentlich daran, dass es dasselbe aufwendige Prüfungsverfahren durchläuft wie das klassische Europäische Patent. Erst danach sind Einsparungen möglich, und zwar vor allem bei Übersetzungskosten und den jährlichen Aufrechterhaltungsgebühren des Einheitspatents. Ein Einheitspatent kostet etwas weniger als der Schutz derselben Erfindung mit dem klassischen Europäischen Patent in den vier größten Volkswirtschaften der 17 Einheitspatentstaaten, nämlich Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden. Etwa die Hälfte der Inhaber Europäischer Patente aber genügt der Schutz in drei Staaten. Beispielsweise wählen Automobilhersteller und ihre Zulieferer typischerweise nur die wichtigsten Autoländer, von denen lediglich drei, Deutschland, Frankreich und Italien, zu den 17 Einheitspatentstaaten zählen, aus. Diese kosten sie weniger als ein Einheitspatent kosten würde. Solche Unternehmen können deshalb mit dem Einheitspatent kaum Kosten sparen.

Die andere Hälfte der Patentanmelder aber benötigen auch Schutz in kleineren europäischen Volkswirtschaften, in der Regel, weil ihre Produkte mit schon vergleichsweise geringen Fixkosten kopiert werden können und auch in kleineren Märkten Endabnehmer finden. Denn dann ist es für Trittbrettfahrer lohnenswert, sich in diesen kleineren Märkten mit ihren Kopien an den Originalhersteller anzuhängen – es sei denn, sie werden durch Patentschutz daran gehindert. Zu den Branchen, die ihre Erfindungen in besonders vielen kleineren Staaten schützen, gehören zum Beispiel die Chemie und die pharmazeutische Industrie, sowie Teile der Medizintechnik- und Konsumgüterbranchen. Für sie bietet das Einheitspatent einen erheblichen Kostenvorteil.

Für Streitigkeiten jeglicher Art ist das Einheitliche Patentgericht zuständig. Es wirbt damit, dass es Patentinhabern in 17 Staaten gleichzeitig zu ihrem Recht verhelfen könne. Das stimmt zwar, allerdings kann es dasselbe auch für deren Wettbewerber tun, die ein Einheitspatent widerrufen lassen möchten, weil sie es für zu Unrecht erteilt halten. Ein Patent mit einem Schlag in gleich 17 Staaten nichtig klagen zu können, ist verlockend, und so werden Einheitspatente vermutlich häufiger zum Ziel von Nichtigkeitsklagen werden als man es bisher in Europa kennt. Klassische Europäische Patente hingegen unterliegen auch weiterhin der Zuständigkeit der nationalen Gerichte, wenn ihre Inhaber sie per „Opt-out“ der Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts entziehen. Knapp die Hälfte der Inhaber klassischer Patente machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Diese Patente profitieren von einem besonderen Portfolioeffekt, der beim Einheitspatent entfällt: Dank Opt-out hat der Inhaber eines klassischen Europäischen Patents in jedem einzelnen Staat, in dem das Patent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen wird, eine neue Chance, die Nichtigkeitsklage erfolgreich abzuwehren. Da verschiedene Gerichte in derselben Sache häufig unterschiedlich entscheiden, kommt es zu einem Effekt ähnlich dem bei einem gut gestreuten Aktienportfolio: Inhaber klassischer Europäischer Patente, die sich in mehreren Staaten gegen Nichtigkeitsklagen verteidigen, können berechtigte Hoffnung haben, zumindest in einigen dieser Staaten zu obsiegen.

Nicht nur begrenzt dies das Risiko eines Totalverlusts, es fördert auch die Verhandlungsbereitschaft der Parteien und erhöht so die Chancen einer gütlichen Einigung. Ein analoger Portfolioeffekt existiert bei der Durchsetzung des Patents gegen Verletzer. Das zahlt sich umso mehr aus, je wertvoller ein Patent ist, denn mit dem Wert nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass das Patent Ziel von Nichtigkeitsklagen wird oder durchgesetzt werden muss. Bei wertvollen Patenten, wie sie zum Beispiel gehäuft in der Kommunikationstechnik, im Bereich der Künstlichen Intelligenz sowie in Nano- und Quantentechnologie, der Pharmazie und der Biotechnologie entstehen, überwiegt der Vorteil, sich nicht mit Wirkung für alle Länder einem einzigen Gericht unterwerfen zu müssen, schnell jeden möglichen Kostenvorteil eines Einheitspatents. Auch für sie bleibt das klassische Europäische Patent deshalb die bessere Wahl.

Dr. Stefan Rolf Huebner ist Patentanwalt in München und Mannheim. Er war Mitglied der Economic Advisory Group des Europäischen Patentamts, die das Amt bei der Einführung des Einheitspatents beraten hat. Dr. Erik Stein ist Patentanwalt in Mannheim.

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Huebner